Zeitgenossen sehen im Kampf zwischen Stier und Mensch bloss eine Form höherer Tierquälerei. Doch das ist zu kurz gegriffen. In Wahrheit inszeniert die Corrida den Tod in einer Weise, die für die meisten Menschen unerträglich geworden ist.

Im Kampf zwischen Tier und Menschen gibt es keine Chancengleichheit. Gerade deshalb ist die Corrida nicht etwa ein Sport, sondern ein Ritual. (Stierkämpfer Juan Belmonte, Sohn des gleichnamigen Matadors, am 29. Juni 1946 in Sevilla.)
Wer sich mit den Stichwörtern «Stierkampf» und «Covid-19» auf eine Google-Suche macht, der stösst auf Texte in einer derzeit selten gewordenen Stimmung zwischen Euphorie und Selbstzufriedenheit. «Dem Virus gelingt, was Tierschutzaktivisten in Jahrzehnten nicht geschafft haben» – dieser Titel aus einer indischen Tageszeitung markiert den gemeinsamen Nenner vielfältiger Reaktionen auf den Niedergang des spanischen Nationalspektakels. Während die populärsten Mannschaftssportarten dank medialer Präsenz und massiven Subventionen die Gegenwart ihrer leeren Stadien bisher überlebt haben, scheint das Ritual des Stierkampfs nach einer fast tausendjährigen Geschichte am sicheren Ende angelangt.