Mit dem Vorschlag der Regierung dürfte die berufliche Vorsorge an Akzeptanz verlieren. Parlament und Sozialminister Alain Berset sollten die Fehler der gescheiterten letzten Reform nicht wiederholen. Auch die Bürgerlichen stehen in der Pflicht.

Die Aussichten für die zweite Säule sind düster.
Die Altersvorsorge bleibt auch in der Corona-Krise eine der grossen Sorgen der Schweizer Bevölkerung. Namentlich in der beruflichen Vorsorge ist eine Reform dringlich. Im vergangenen Jahr wurden 7 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentnern umverteilt, obwohl dies in der zweiten Säule nicht vorgesehen ist. Mit dem Coronavirus haben sich die Probleme verschärft. Zwar haben sich die Pensionskassen von den Anlageverlusten im Frühling erholt, weil die Zentralbanken massiv intervenierten. Doch die Tiefzinsphase wird wegen Corona eher noch länger dauern als ohne. Sie ist neben der gestiegenen Lebenserwartung das Hauptproblem der zweiten Säule.
Am Mittwoch hat der Bundesrat die Botschaft zur Reform der beruflichen Vorsorge an das Parlament verabschiedet. Trotz der Krise hält die Regierung an dem Vorschlag fest, auf den sich die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband verständigt haben. Kernelement der Reform ist die überfällige Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent. Dieser legt fest, mit welchem Prozentsatz das Alterskapital in eine Rente umgewandelt wird. Weiter ist eine doppelte Kompensation geplant, die das Rentenniveau nicht nur erhalten, sondern teilweise sogar überkompensieren würde.
Gewiss, Reformen der zweiten Säule sind hochkomplex. Eine Vorlage, die bloss eine Reduktion des gesetzlichen Rentenniveaus vorsehen würde, hat an der Urne einen schweren Stand. Und ja, es wäre wünschbar, dass die Sozialpartner dahinterstehen. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall: Gewichtige Branchenverbände der Arbeitgeber lehnen zentrale Elemente des Vorschlags ab. Der Gewerbeverband propagiert ein alternatives Modell.
Vor allem aber ist es stossend, allen Rentnern, die in den Jahren nach der Reform pensioniert werden, zusätzlich einen Bonus von 200 Franken pro Monat zu gewähren. Diese Regelung soll erst noch unbefristet gelten. Die Gewerkschaften würden damit einen Hebel erhalten, um bei weiteren Reformen immer höhere Zuschläge zu erpressen. Jene Pensionskassen, die ihre Leistungen via den überobligatorischen Teil bereits den Realitäten angepasst haben, würden damit bestraft. Zudem verstösst der Vorschlag gegen die Generationengerechtigkeit. Die Jungen haben wegen der Corona-Pandemie ohnehin düstere Aussichten. Es wäre falsch, nun das Umlageverfahren auszubauen beziehungsweise in die berufliche Vorsorge zu exportieren. Zu Recht setzen sich die Jungparteien gegen das Vorhaben zur Wehr.
Das bewährte Dreisäulenmodell der Schweizer Altersvorsorge ist wegen des Reformstaus unter Druck geraten. Dass der Bundesratsvorschlag die Akzeptanz der zweiten Säule erhöht, ist jedoch zu bezweifeln. Vielmehr dürfte die Transparenz ungenügend bleiben. Über die zentralen Fragen, die Erhöhung des Rentenalters und die Entpolitisierung der zweiten Säule, diskutiert Bundesbern schon gar nicht. So bleibt zu hoffen, dass die Renteninitiative der Jungfreisinnigen zustande kommt. Diese verlangt, dass das Rentenalter für beide Geschlechter auf 66 Jahre erhöht wird und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt wird.
Für die hängige Reform der zweiten Säule liegen alternative Ideen vor. Das Parlament sollte die Fehler der gescheiterten letzten Reform nun nicht wiederholen. Die Parteien von Mitte-links setzten auf Biegen und Brechen eine Lösung durch, die vor dem Stimmvolk scheiterte. Sie wurden dabei von Sozialminister Alain Berset (sp.) und der Verwaltung unterstützt, die alternative Vorschläge torpedierten.
Die Kritiker des Bundesratsvorschlags stehen jedoch ebenfalls in der Pflicht. Sie müssen sich auf einen tragfähigen Plan B verständigen. Während die Linke am selben Strick zieht, funktioniert die bürgerliche Allianz bei der Altersvorsorge schlecht. Die ebenfalls hängige Reform der AHV ist für die zweite Säule ein schlechtes Omen. Der Entscheid über die anspruchsvolle, aber weniger komplexe Vorlage hat sich unlängst erneut verzögert. Die Bürgerlichen müssen sich zusammenraufen, wenn sie den Rentenreformen ihren Stempel aufdrücken wollen.