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Den gleichen Fehler nicht zwei Mal machen: So läuft die Loslösung von China

Pflegen eine enge Beziehung: Wladimir Putin und Xi Jinping.

Pflegen eine enge Beziehung: Wladimir Putin und Xi Jinping.Bild: keystone

Die Abkoppelung von Russland läuft, nun kommt die Loslösung von China. Daran arbeitet die Schweiz schon. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Niklaus Vontobel / ch media

Nicht den gleichen Fehler zwei Mal machen, heisst die Devise. Nachdem Wladimir Putin einen brutalen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, will der Westen nach Russlands Präsident nicht auf den nächsten Autokraten reinfallen.

Europas Hauptstädte und Firmenzentralen wollen unabhängiger werden vom Reich des Möchtegerne-Alleinherrschers Xi Jinping. In der Schweiz laufen längst solche Bemühungen. Eine Ablösung von China würde eine Trendumkehr bewirken. Vorbei wäre es mit den ständig sinkenden Preisen vieler Konsumgüter.

Warum sollte sich der Westen von China loslösen?

Nicht denselber Fehler zwei Mal machen – diese Haltung zeigt sich in Deutschland überdeutlich. «Wer sich heute überrascht zeigt über unsere Abhängigkeit von russischem Gas, der möge sich einmal mit unserer Abhängigkeit von China auseinandersetzen», warf Friedrich Merz, Parteichef der CDU, unlängst seinen politischen Gegnern entgegen: «Wir müssen uns so schnell wie möglich aus diesen Abhängigkeiten befreien.»

Steht für deutsches Umdenken: CDU-Chef Merz.

Steht für deutsches Umdenken: CDU-Chef Merz.Bild: keystone

Zuvor wurde über Deutschland gespottet, das Land habe seine Sicherheit an die USA ausgelagert und vor allem seine Energieversorgung an Russland und sein Wirtschaftswachstum an China. Nun geht der Wille zur Besserung quer durch die Parteien. Berlin brauche ein neues Geschäftsmodell, um seine Abhängigkeit von China zu senken, sagt auch FDP-Finanzminister Christian Lindner.

SPD-Parteichef Lars Klingbeil fordert: «Wir müssen die technologische Abhängigkeit von der Volksrepublik, in der wir uns längst befinden, massiv reduzieren.» Klingbeil will nicht länger blind darauf vertrauen, dass sich Autokraten wandeln, wenn man mit ihnen Handel betreibt. «Ökonomische Beziehungen ohne politische Veränderungen – das ist gescheitert.»

Aufgeschreckt durch Russlands Invasion, überdenkt Europa seine Beziehungen zu China. Gemäss der Nachrichtenagentur Bloomberg sehen nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa nun die Volksrepublik mit neuen Augen. Der litauischen Aussenminister Gabrielius Landsbergis etwa erkennt im Westen ein «Erwachen» und er muss es wissen: Nach Streitigkeiten über Taiwan liess China die litauischen Importe einbrechen.

Landisbergis warnte: «Wenn wir über China sprechen, sehen wir deutlich, dass sich neue Abhängigkeiten entwickeln.» Zugleich spricht der Leiter der Europäischen Handelskammer in China Jörg Wuttke davon, mit dem Ukraine-Krieg habe sich das öffentliche Bild von China nochmals verschlechtert, eine neue Dimension habe dies angenommen.

Wartet die Schweizer Politik noch ab oder handelt sie?

Und die Schweiz? Man könnte sagen, sie sei schon aufgewacht, so halb zumindest. Das Parlament hat dem Bundesrat lange vor dem Ukraine-Krieg den Auftrag erteilt zu einem Gesetzesentwurf, der die Schweiz schützen soll vor Einflussnahme durch Autokraten. Wegbereiter war der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder, der im Sommer 2020 eine Motion eingereicht hatte für «Faireren Wettbewerb gegenüber Staatsunternehmen».

Hintergrund war die Übernahme des Schweizer Konzerns Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern Chemchina. Rieder sagt dazu, der Deal habe zwar in den USA bewilligt werden müssen, aber nicht in der Schweiz – hierzulande fehlte dafür die gesetzliche Grundlage. «Im Ukraine-Krieg sieht man die Folgen, wenn man wichtige Vermögenswerte nicht mehr kontrolliert.» Deutschland liefere da unfreiwillig Anschauungsmaterial.

Einflussreicher Ständerat: Beat Rieder mit den beiden BundesrätinnenKarin Keller-Sutter und Viola Amherd.

Einflussreicher Ständerat: Beat Rieder mit den beiden BundesrätinnenKarin Keller-Sutter und Viola Amherd.Bild: keystone

«Deutschland zeigt, dass die Schweiz einen Investitionsschutz braucht», sagt Rieder. Es brauche eine gesetzliche Grundlage, um bestimmen zu können, welche Investoren man wolle und welche nicht. Und es brauche eine Behörde, die heikle Übernehmen prüfe und diese genehmigen müsse. Die kleine Schweiz könne es sich nicht erlauben, wie es nun Deutschland tue, erst Übernahmen durchzuwinken und später zu Enteignungen zu greifen. Für Rieder ist darum klar: «Täten wir dies mit chinesischen Unternehmen in der Schweiz, ist klar, was mit schweizerischen Unternehmen in China passiert.»

Warum ist Deutschland ein abschreckendes Beispiel für die Schweiz?

Es zeigt sich an einer Raffinerie im ostdeutschen Schwedt. Im vergangenen Herbst, als der russische Truppenaufbau schon längst begonnen hatte, ging die Kontrolle an der Schwedt-Raffinerie an den russischen Staatskonzern Rosneft, kontrolliert von einem Putin-Vertrauten. Die Raffinerie ist überlebenswichtig, in ihrem Einzugsgebiet liefert sie das allermeiste Benzin und Heizöls – und sie ist angewiesen auf russisches Rohöl.

Nun hätte Deutschland gerne, dass sich Schwedt am Embargo gegen Russland beteiligt – und Rosneft will natürlich nicht. Als Antwort will Wirtschaftsminister Robert Habeck nun die Raffinerie unter staatliche Aufsicht stellen. Sein Vorhaben hat er den dortigen Mitarbeitenden vorgestellt, auf einem Tisch stehend, mit den einleitenden Worten, «ich will sie nicht vergackeiern» – Putin dürfte es so oder so als Enteignung werten. Vergeltungsmassnahmen sind wahrscheinlich.

Sollte die Schweizer Politik noch mehr tun?

Hat die Schweiz ihre Abhängigkeit von Autokratien damit im Griff? Zumindest sei eine wichtige Aufgabe erledigt, sagt Ständerat Rieder, wenn das Gesetz einmal verabschiedet sei. Doch es gäbe andere Themen, die man seiner Ansicht nach prüfen sollte.

Etwa, ob sich die Schweiz für ihre Landesversorgung bei einzelnen Gütern zu sehr auf einzelne Lieferanten verlässt. Solche Abhängigkeiten habe die Politik etwas aus den Augen verloren, sagt Rieder. «Alles schien immer in unbeschränkten Mengen verfügbar, man glaubte sich im Lande des Füllhorns.»

Ist China noch das gelobte Land für Schweizer Firmen?

Derweil hat sich auch in der Schweizer Industrie das Bild von China gewandelt, auch wenn nach wie vor gilt, was der Verband Swissmem so formuliert: «China bleibt ein zentraler Markt». Swissmem-Präsident Martin Hirzel beschreibt ein «deutlich anspruchsvolleres Umfeld».

China wolle seinerseits unabhängiger vom Westen werden, was eine gewisse Entkoppelung von der Weltwirtschaft mit sich bringe. Und China wende sich ab von freier Marktwirtschaft und hin zu einem Kapitalismus, «in welchem der Staat die wesentliche Kontrolle behält».

In diesem «deutlich anspruchsvolleren Umfeld» müssen Schweizer Firmen auf der Hut sein. Hirzel rät zu Firewalls, um zu verhindern, dass «lokale Tochterfirmen auf Firmengeheimnisse zugreifen».

Manche Firmen setzen weiterhin auf China, bauen ihre Geschäfte jedoch nicht weiter aus. Andere investieren noch, tun es aber so, dass sie in China herstellen und zugleich in China verkaufen – was einer «firmen-internen Entkoppelung» gleichkomme. Im schlimmsten Fall hätte das Unternehmen also eine Sollbruchstelle.

Hat eine Loslösung von China auch Folgen für die Konsumentinnen und Konsumenten?

Solche geopolitischen Umwälzungen wirken sich auf Geldbeutel in der Schweiz aus. Im Falle der Abkoppelung von Russland hat es längst begonnen, auch wenn das volle Ausmass noch nicht abschätzbar ist. In der Schweiz wie im ganzen Westen sind die Preise für Benzin oder Heizöl in die Höhe geschossen. In Deutschland zuletzt auch jene für Lebensmittel.

Der Westen war gewarnt. Putin hatte es den Deutschen vor Kriegsbeginn erklärt. An einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz riet er ihnen, ihre Portemonnaies zu öffnen, reinzuschauen, und sich zu vergegenwärtigen, dass sie ohne den Handel mit Russland für ihren Strom drei bis fünf Mal mehr bezahlen müssten, ebenso für Gas und Heizwärme.

Denn sonst ... Russlands Präsident Putin hatte den deutschen Konsumenten vorgerechnet, wie teuer es ohne sein Öl und Gas würde.

Denn sonst ... Russlands Präsident Putin hatte den deutschen Konsumenten vorgerechnet, wie teuer es ohne sein Öl und Gas würde.Bild: keystone

Im Falle von China darf über die Folgen noch gerätselt werden. Es gibt keinen klaren Bruch wie mit Russland. Doch eine Ahnung geben die chinesischen Lieferprobleme, die schon vor dem Ukraine-Krieg die westlichen Inflationsraten auf Höchststände trieben. Und die chinesische Wirtschaft ist ungleich grösser als die russische, etwa zehn Mal.

Kommt es zur Ablösung von China, werden die Lieferketten nicht nur vorübergehend gestört, sondern aufgelöst oder zumindest weniger effizient aufgezogen. Dann könnte der aktuelle Trend zu höheren Preisen bestehen bleiben, wenn auch wohl nicht in ganz so dramatisch wie zuletzt. Wie die «New York Times» kürzlich titelte, wäre es vorbei mit der Ära, in der die Preise vieler Konsumgüter ständig fielen oder nur sehr moderat stiegen, es wäre das Ende der «Ära des billigen Überflusses.»