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Brain Fog: «Wir werden einen Anstieg dieses Symptoms sehen»

Wie heisst der Kollege nochmals, der nun doch seit 5 Jahren im selben Büro arbeitet? Und wo habe ich jetzt schon wieder mein Postiwägeli hingestellt? Und wieso fällt mir dieses Wort nicht ein, das ich doch stets benutze?

Wem diese unangenehmen Fragen bekannt vorkommen, der leidet vermutlich an Brain Fog – Hirnnebel. Die Beschwerden sind mannigfaltig: Neben Vergesslichkeit und Konzentrationsmangel klagen Betroffene auch über Wortfindungsschwierigkeiten und Mangel an geistiger Klarheit. Doch welche Ursachen führen zu Brain Fog? Die Antwort ist leider nicht ganz so einfach. In vielen Fällen helfen jedoch bereits Anpassungen im Alltagsverhalten.

Frau Dr. Diem, was genau ist Brain Fog?
Dr. Diem:
Brain Fog ist ein Symptom – eine Beschwerde. In medizinischen Berichten benutzen wir den Ausdruck nicht. Wir reden dann jeweils von einer kognitiven oder geistigen Fatigue – einer geistigen Erschöpfung. Umgangssprachlich kann man auch sagen, man fühlt sich «wie benebelt».

Eine kleine Google-Recherche zeigt: Es gibt sehr viele Ursachen dafür ...
Man muss dabei unterscheiden zwischen Zuständen und Erkrankungen: Zu den Zuständen gehören Stress, Schlafmangel, Medikamente, hormonelle Veränderungen wie eine Schwangerschaft – man redet ja umgangssprachlich auch von einer Schwangerschaftsdemenz. Dieselben Symptome können aber auch während der Menopause auftreten. Jeder und jede von uns kann davon betroffen sein.

Dr. med. Lara Diem ist Oberärztin in der Abteilung Neurologie am Inselspital Bern.

Dr. med. Lara Diem ist Oberärztin in der Abteilung Neurologie am Inselspital Bern.

Und dann gibt es noch die Erkrankungen?
Genau. Auch hier ist die Palette der Erkrankungen, die Brain Fog auslösen können, riesig. Es beginnt mit banalen Dingen wie Eisenmangel, Blutarmut, Vitaminmangel, zum Beispiel B12. Aber auch Diabetes, Schilddrüsenunterfunktionen können Ursache sein, wie auch schwere Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose (MS). Dort kommt die kognitive Fatigue häufig vor. Oder bei rheumatologischen Autoimmunerkrankungen, bei Migräne, bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder auch bei postviralen Zuständen zum Beispiel nach COVID.

Welches sind die häufigsten Ursachen?
Aktuell ist es Post-Covid. Zwischen 6 und 9,9 Prozent aller Covid-Infizierten entwickeln eine Post-Covid-Erkrankung. Über 90 Prozent davon klagen über das kognitive Fatigue-Syndrom. Hinzu kommt die körperliche Erschöpfung. Fatigue tritt aber auch bei MS sehr häufig auf – ebenfalls bei etwa 90 Prozent aller Betroffenen. Vitamin- und Eisenmangel gehören auch zu den häufigsten Ursachen – vor allem bei jungen Frauen. Depressionen sind eine häufige Ursache. Wir beobachten aktuell gerade eine Zunahme dieser Fälle. Grundsätzlich sind die psychischen Erkrankungen nach der Covid-Pandemie auf dem Vormarsch. Als Letztes würde ich noch Migräne erwähnen. Wobei man bei Migräne die Symptome jeweils kürzer, also nur zwischen 24 und 72 Stunden, spürt.

In meinem Umfeld klagen primär arbeitstätige Eltern in geistig beanspruchenden Berufen über Brain Fog …
Dann ist die Ursache in der Regel Schlafmangel und Stress. Brain Fog ist ein Anzeichen für geistige Erschöpfung. Schlafmangel, Kinder, Stress und dann noch ein Job, in dem die grauen Hirnzellen beansprucht werden – da ist klar, dass diese ermüden. Man muss dies ernst nehmen, weil das Risiko besteht, dass man eine Depression entwickelt – oder auch chronische Kopfschmerzen.

Was raten Sie bei solchen «milden» Fällen?
Etwas, worauf eigentlich die gesamte Bevölkerung achten sollte: auf den Lifestyle. Auch wenn der Job stressig ist. Nehmen Sie sich Zeit, herunterzufahren, sich zu entspannen. Achten Sie auf ihre Schlafhygiene. Gerade der letzte Punkt wird häufig unterschätzt. Unser Schlafrhythmus sollte im besten Fall wie ein Schweizer Uhrwerk sein. Wir sollten möglichst immer zur selben Zeit ins Bett und dann auch zum selben Zeitpunkt aufstehen. Sonst kommt das System durcheinander und der Schlaf verliert an Effektivität.

Es kommt also nicht nur auf die Schlafmenge darauf an?
Der Rhythmus ist enorm wichtig. Wir kennen das aus der Schlafforschung auch vom Inselspital. Es gibt Leute, die haben kaum REM-Schlafphasen – und das trotz sechs Stunden Schlaf. So ist Schlaf natürlich nicht effektiv.

Was hilft sonst noch, die Schlafeffektivität zu steigern?
Vermeiden sie es, im Bett fernzusehen, oder ins Telefon, Tablet oder einen Computer zu schauen. Das Licht der Screens weckt das Hirn und verhindert später, schnell in die tiefe Schlafphase zu kommen. Aber auch der Konsum von Koffein vor dem Zubettgehen sollte vermieden werden.

Aber am Abend ist doch genau die Zeit, um noch gemütlich und in Ruhe bei einer Serie zu entspannen.
Aber bitte nicht im Bett, sondern auf dem Sofa. Und schauen Sie, dass sie danach noch etwas Zeit mit Abendroutine, Zähneputzen oder einem Buch verbringen. Oder hören Sie einen Podcast. Aber einfach nicht direkt nach der Screentime im Bett sich schlafen legen.

Was empfehlen Sie den Leuten mit «leichtem» Brain Fog weiter?
Ich rate Stress abzubauen mit Sport, mit körperlicher Aktivität, mit Entspannungstechniken – und klar: Die Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Wenn Sie nur Burger und Pommes essen, fettige, nitratreiche Mahlzeiten, dann begünstigt das die kognitive Erschöpfung. Wir empfehlen deshalb Patienten mit Fatigue-Problemen eher eine proteinreiche Ernährung.

Ab welchem Schweregrad von Brain Fog empfehlen Sie eine Arztkonsultation?
Sobald Sie im Leben und bei der Arbeit beeinträchtigt werden, sollten Sie einen Arzt aufsuchen. Aber es ist schon wichtig, dass man vorher noch etwas Introspektion betreibt, und sich überlegt, ob es Gründe geben könnte, weshalb es zu diesem Zustand kam. Ich meine damit vor allem, dass man den eigenen Lifestyle kritisch hinterfragt – und wenn nötig modifiziert. Man muss dabei wirklich streng und diszipliniert mit sich selber sein, um etwas zu verändern. Wenn man dann merkt, dass es nicht besser wird, vielleicht sogar schlechter, dann muss man zur Ärztin gehen.

Ein erster Schritt wäre dort dann, einen Blutcheckup zu erstellen. Man muss nicht gleich ans Schlimmste denken – banale Dinge wie Eisen- oder Vitaminmangel sind häufig und wenn man dann das korrigiert, wird es bereits besser.

Wie erklären Sie sich den Vormarsch von Brain Fog unabhängig von den Covid-Fällen?
Ich glaube, dass man jetzt vermehrt von diesem Symptom spricht, liegt daran, dass unser Lifestyle einfach nicht gesund ist: Wir arbeiten zu viel, ernähren uns zu wenig gesund, und dann hat auch die Pandemie ihre Spuren hinterlassen. Hinzu kommen psychologische Faktoren. Kriege, die Pandemie und der Klimawandel können im Unterbewusstsein Stressfaktoren sein. Ich denke, wir werden in Zukunft noch einen Anstieg dieses Symptoms sehen. Vor allem, wenn wir nicht auf unseren Lifestyle achten.

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